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5. April 2023

Brandbrief zum Wolfsmanagement & Deichschutz

Sehr geehrte Frau Kommissionspräsidentin, sehr geehrte Frau Dr. von der Leyen,

in den letzten Jahrzehnten haben viele Naturschützer die Rückkehr des Wolfes nach Deutschland als Erfolg gefeiert. ln ganz Deutschland lebten nach aktuellen Angaben der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes (DBBW) zum Thema Wolf insgesamt 161 bestätigte Rudel, 43 Paare und 21 territoriale Einzeltiere, Tendenz steigend. Das Wolfsvorkommen konzentriert sich dabei vor allem auf Gebiete in Sachsen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen.

Dieser Trend führt zu Konflikten, insbesondere in den Küstenregionen, wo der Wolf zu einem Risiko für die Deichinfrastruktur geworden ist.

Zur Eindämmung des Risikos sind Maßnahmen der Mitgliedsstaaten aufgrund des besonders hohen Schutzes des Wolfs im Rahmen der Flora-Fauna-Richtlinie (92/43/EWG) nach Art. 16 der Richtlinie möglich. Danach können Mitgliedsstaaten u.a. zur Verhütung ernster Schäden sowie im Interesse der öffentlichen Sicherheit Maßnahmen ergreifen, soweit es keine anderweitige schonendere Lösung gibt und der Wolf trotz Entnahme in einem günstigen Erhaltungszustand bleibt.

Die Deichinfrastruktur ist in den Küstenregionen Deutschlands von entscheidender Bedeutung, um das Land vor Sturmfluten und Überflutungen zu schützen. Nach Angaben des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz betragen die jährlichen Instandhaltungskosten für Deiche mehrere Millionen Euro. Allein die Reparatur von Deichschäden kostet zwischen 50 000 und 300 000 Euro pro Kilometer Deich.

ln diesem Kontext ist die steigende Verbreitung von Wölfen ein zusätzliches Risiko. Allein im Jahr 2021 wurden nach Angaben der DBBW rund 4000 Nutztiere, davon allein 3444 Schafe, durch den Wolf getötet, Tendenz steigend. Für einen effektiven Hochwasserschutz sind Schafe zur Deichpflege unerlässlich. Sie dienen u.a. der Beweidungskontrolle und der Bodenverdichtung. Mittlerweile führt der steigende Schafsriss dazu, dass Schafshalter keine Perspektive mehr sehen und ihre Arbeit aufgeben. Dadurch ist der Fortbestand des Deichschutzes akut bedroht.

Zudem führt die Anwesenheit des Wolfes dazu, dass Wildtiere wie Rehe oder Wildschweine sich oft in der Nähe von Gewässern aufhalten, um der Gefahr des Wolfs zu entgehen. Diese verursachen wiederum Schäden an den Deichen, indem sie sich durch das Deichgras fressen oder Deichabschnitte untergraben.

Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt. dass andere Schutzmaßnahmen wie Zäune oder das Verlegen von Duftstoffen, wenn überhaupt nur temporär abschreckend auf den Wolf wirken und von daher für den Fortbestand des Deichschutzes nicht ausreichend sind.

Ich fordere die Kommission auf, den Problemen vor Ort zu begegnen. Dazu muss die Kommission meines Erachtens aktiv Möglichkeiten der Regulierung formulieren und kommunizieren. Die am 12.10.2021 herausgegebene Leitlinien zum Schutz des Wolfs haben zu keiner Lösung des Problems geführt. Vielmehr sind die Fronten verhärteter als je zuvor und der Fortbestand des Deichschutzes stärker denn je bedroht. Aufgrund der existenziellen Bedeutung des Deichschutzes, v.a. für die öffentliche Sicherheit. muss es meines Erachtens möglich sein unter Anwendung von Art. 16 der FFH-Richtlinie den Küstenbereich frei von Wölfen zu halten.

Ich bitte die Kommission deshalb, in ihren Leitlinien Maßnahmen vorzuschlagen, die sicherstellen, dass Mitgliedsstaaten solch akuten Bedrohungen unter Berücksichtigung des Artenschutzes effektiv begegnen können.

Ich freue mich auf Ihre Antwort -vor allem weiI die Bürgerinnen und Bürgern, die an einer Diskussionsveranstaltung in Ostfriesland zum Thema Wolf teilgenommen haben, zu Recht eine Stellungnahme der EU-Kommission in dieser Frage erwarten können.

Mit freundlichen Grüßen,

Jens Gieseke