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27. Februar 2015

„Nicht in der Blase sitzen, sondern konkrete Impulse sammeln“

Europa-Parlamentarier Jens Gieseke besucht Caritasverband Osnabrück

„Ich will nicht in einer Blase sitzen, sondern konkrete Impulse für die Arbeit im europäischen Parlament haben.“ Diese programmatische Vorgabe prägte den Besuch des Europaparlamentariers Jens Gieseke (CDU) bei der Caritas in Osnabrück.

Das Programm, das der Caritasverband für den Politiker zusammengestellt hatte, dürfte seinem Wunsch nach Impulsen und breit gefächertem Eindruck gerecht geworden sein.

Flüchtlingspolitik und Arbeitsmigration

Der Tag startete mit einem Arbeitsfrühstück, bei dem es insbesondere um Fragen zur Flüchtlingspolitik und zur Arbeitsmigration ging. Zwischen dem Besucher und der Spitze des Caritasverbandes für die Diözese Osnabrück bestand Einigkeit in der Einschätzung, dass die Anwerbung von ausländischen Arbeits-und Fachkräften keinen Fachkräftemangel im Herkunftsland erzeugen darf.  Der Vorsitzende des Caritasrates, Diakon Dr. Gerrit Schulte, betonte: „Fachkräftemangel ist nicht lösbar durch Anwerbung von polnischen oder osteuropäischen Fachkräften, wenn dort bereits jetzt ein Pflegenotstand besteht.“ Anders ist die Situation, wenn junge EU-Bürger zum Beispiel im Emsland eine Berufsausbildung finden können, die eine Alternative zur Arbeitslosigkeit in ihrem Heimatland bietet.

Mit Blick auf die anstehenden Fragen in der Flüchtlingspolitik formulierte der stellvertretende Caritasdirektor Günter Sandfort die Forderung nach sofortigem Zugang zur Krankenversicherung für Asylbewerber. Sandfort weiter: „Eine schnelle Vermittlung in Arbeit ist eine weitere Notwendigkeit, um Integration zu ermöglichen.“ Dem konnte Gieseke grundsätzlich zustimmen: „Es ist sicher unwürdig, wenn Menschen lange ohne Arbeit gelassen werden.“

Altenhilfe und eHealth-Konzepte

Einen intensiven Eindruck über die Arbeitsbedingungen und aktuellen Konzepte der stationären Altenhilfe gewann Jens Gieseke im St.-Franziskus-Haus in Bad Iburg.

Die Einrichtungsleiterin Annette Niederwestberg erläuterte dem Politiker das Wohngruppenkonzept der traditionsreichen und gleichwohl gerade neu gebauten Einrichtung. Die Bewohner werden, je nach Fähigkeiten, intensiv in die Gestaltung des Tagesablaufs eingebunden. Die Zubereitung von Mahlzeiten und ähnliche Tätigkeiten gehören zum Alltag und helfen, eine aktive Lebensgestaltung möglichst lange aufrecht zu erhalten. Zugleich musste Günter Sandfort Wasser in den fachlichen Wein gießen, als er Gieseke über die grundlegenden Finanzierungsprobleme der niedersächsischen Altenhilfe informierte: „Mit unseren 50 stationären Einrichtungen erwirtschaften wir durchschnittlich ein jährliches Defizit von ca. 120.000 € pro Haus. Das sind pro Jahr ca. 6 Millionen €, die wir aufgrund mangelnder Refinanzierung zuschießen müssen.“ Hauptgründe sind die hohen Lohnkosten aufgrund der tariftreuen Bezahlung der Caritasmitarbeiter und die sehr schlechten niedersächsischen Pflegesätze.

In Bad Iburg wurde auch über eine weitere Herausforderung für die Altenhilfe diskutiert: Den demographischen Wandel. Prof. Dr. Ursula Hübner, die an der Hochschule Osnabrück die Forschungsgruppe Informatik im Gesundheitswesen und das Zentrum für Multimedia und IT-Anwendungen leitet, und der Geschäftsführer des Living Lab, Martin Schnellhammer, berichteten über die Aufgabe, mithilfe von Informatiklösungen die Arbeit der Pflegenden neu zu strukturieren und die Lebensqualität von pflegebedürftigen Menschen zu erhöhen. Ursula Hübner betonte: „Es geht um eine Neuausrichtung der Pflege, um einen Umbruch im Gesundheitswesen. Technologie und Gesundheitsinformatik schaffen dazu die Rahmenbedingungen. Unser Ziel ist die Entwicklung kluger Konzepte unter Einbindung von eHealth, um die tägliche Arbeit der Pflegenden zu erleichtern, die Steuerungsmöglichkeiten des Trägers zu verbessern und Wissenszuwachs für Verwaltung und Politik zu erhöhen.“ Davon habe der Bewohner unmittelbar Nutzen.

150217_JG OS Living Lab

Das gerade neu eingerichtete Living Lab bildet dazu ein Scharnier zwischen Forschung, Arbeitspraxis und neuen Techniken, die in innovativen Unternehmen entwickelt werden. Martin Schnellhammer sieht es als eine seiner Aufgaben an, vorhandenes Know-how zu vernetzen und so neue Produkte zu entwickeln, die pflegebedürftigen Menschen ein Maximum an Selbstständigkeit schenken können. Diese Arbeit ist international ausgerichtet, so Ursula Hübner: „Europa ist auch deshalb sehr gut, weil man so viel voneinander lernen kann!“

Jens Gieseke, der im Europaparlament unter anderen den Bereich eHealth bearbeitet, betonte: „Wichtige Voraussetzungen für Ihre Arbeit liegen in der Infrastruktur. Eine grundlegende Voraussetzung ist eine flächendeckende Konnektivität!“ Daran müsse in vielen Regionen Europas noch gearbeitet werden.

Zukunft des ländlichen Raums

Auch das Mittagessen mit Caritasdirektor Franz Loth war von politischen Themen geprägt. Insbesondere ging es bei dem Arbeitsessen um die Bedeutung des ländlichen Raums und der Landwirtschaft. Loth sieht eine zentrale Herausforderung: „Wir brauchen Orte, Zeiten und Menschen, die miteinander die Zukunft der Dörfer und der ländlichen Regionen entwickeln. Wir brauchen dringend den Dialog darüber, wie wir arbeiten, leben und alt werden wollen.“ Die diesjährige Caritaskampagne unter dem Motto „Stadt-Land-Zukunft“ widmet sich genau diesen Fragen.

150217_JG OS Loth

Recht auf Arbeit für Menschen mit Behinderungen

Die letzte Station des Besuchs war der Integrationsfachdienst (IFD) des Caritasverbandes für die Stadt und den Landkreis Osnabrück. Dieser Dienst, der im Auftrag des Integrationsamtes tätig ist, berät, vermittelt und begleitet Menschen mit Behinderungen auf ihrem Weg in den Arbeitsmarkt. Die Leiterin des Geschäftsbereichs Behindertenhilfe und Psychiatrie, Rita Nolte, erläuterte die Bedeutung, die der IFD auch zukünftig haben wird: „Demnächst wird das Bundesteilhabegesetz verabschiedet. Einen großen Raum wird darin das Recht auf Arbeit für Menschen mit Behinderungen nehmen. Dann wird der IFD noch wichtiger, um Menschen mit Behinderung und Arbeitgeber zu unterstützen, einen passenden Arbeitsplatz zu finden.“

Fachbereichsleiter Mounir Wojtun und Berater Olaf Pieck stellten ein Modellprojekt für den Übergang aus den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen (WfbM) in den allgemeinen Arbeitsmarkt und Beispiele aus ihrer Beratungsarbeit vor. Zuvor hatte die Geschäftsführerin des Caritasverbandes, Carina Uhlen, dem Gast aus Brüssel das breite Aufgabenspektrum der Osnabrücker Caritas erläutert.

Am Ende des Besuchs in Osnabrück und Bad Iburg blickte Jens Gieseke zufrieden auf den Tag zurück: „Für mich ist es wichtig, konkret zu sehen, unter welchen Bedingungen und mit welchen Ideen die Wohlfahrtspflege arbeitet. Ich bin beeindruckt davon, was in den Beratungsstellen und im St.Franziskus-Haus geleistet wird, vor welchen Herausforderungen man dort steht, was das alles kostet und wie Finanzierungsmodelle aussehen. Ich habe erfahren, wo die Probleme liegen und welche Lösungsideen die Caritas hat.“

Ende Februar wird Jens Gieseke im Emsland weitere Einrichtungen der Caritas besuchen, um sich konkret über Angebote für Suchtkranke und für Menschen mit Behinderungen zu informieren.

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(Text/Bilder: Roland Knillmann)